Kennt ihr das? Ihr wollt einfach nur schnell etwas nähen und dann läuft die Sache völlig aus dem Ruder? Heute lasse ich euch an einer solchen Erfahrung teilhaben. Vielleicht macht es euch Mut. Vielleicht könnt ihr euch gut in meine Lage versetzen, weil ihr auch schon solche Erfahrungen gemacht habt. Und vielleicht findet ihr es auch einfach nur unterhaltsam :-)
Bei mir war es das Kirsten-Kimono-Tee von Maria Denmark. Ich weiß nicht, ob ihr es kennt, aber etwas einfacheres kann man kaum nähen. Ich mag gerne schlichte Schnitte. Tüddel, Details, Kurzwaren – das ist alles gar nicht mein Ding. Das Kimono-Tee mit den überschnittenen Schultern und dem U-Boot-Ausschnitt gefällt mir deshalb besonders gut. Warum das Projekt, das ich auf einen Abend geschätzt hatte, zwei Wochen gedauert hat, erfahrt ihr hier in diesem Beitrag.
Mein Näh-Geschmack passt auch zu meiner Projektleiterkompetenz (das mache ich beruflich): minimum viable product, klar definierter Scope, planbarer Zeithorizont bis zur Acceptance der Deliverables. Um mal mit ein paar Buzz Words um mich zu schmeißen ;-) tja, und um in der Projektmanagement-Welt zu bleiben: die wahre Kunst besteht doch darin, auf unvorhersehbare Ereignisse („unknown unknowns“) zu reagieren, sie zu akzeptieren, den Plan anzupassen und dann das Beste – wenn nicht sogar etwas Besseres – daraus zu machen. Was natürlich länger dauert… immer…
(Und nur für die Nerds unter euch: ich habe tatsächlich ein Data Studio Kanban Board für meine Nähprojekte. No kidding ;-D)
Jedenfalls, um die Nähenden unter euch wieder abzuholen, ist das Kimono-Tee super simpel. Ich wollte es aus einem schönen gemusterten XXL-Sommertop nähen. Das Top ist aus dem Fundus von einer Bekannten, aus dem ich schon mehrer schöne Dinge genäht habe:
Das Kimono-Tee besteht aus zwei Schnitt-Teilen und einem Halsbündchen. Also eigentlich. Meins hier nicht… ich dachte also, ich nähe mir an einem Abend mal ein Kimono-Tee. Tatsächlich lief es dann aber so:
Tag 1: Schnittmuster drucken
Ich drucke das Schnittmuster aus und klebe es zusammen. Muss mich für eine Größe entscheiden. Ich nehme M, weil das Schnittmuster für Jersey-Stoffe gedacht ist, der Blumenstoff von meinem Upcycling-Stoff aber nicht dehnbar ist. Für mehr habe ich heute keine Zeit.
Tag 2: Vorüberlegungen
Ich denke, ich würde schon gerne sicherstellen, dass der Schnitt mir gut passt. Ich nähe lieber mal ein Probeteil. Weiß aber nicht, was.
Es vergehen mehrere Tage.
Tag 3: Test-Shirt
Mir fällt beim Aufräumen das rote Trainer-Shirt auf. Ich lege probeweise das Schnittmuster drauf. Sieht gut aus.
Tag 4: Probe-Nähen
Ich nähe erstmal ein Kimono-Tee aus dem Test-Shirt. Den Blogbeitrag dazu habe ich bereits geschrieben:
Tag 5: Planung
Ich weiß jetzt die richtige Länge für das Shirt und dass ich an der Hüfte eher auf die Weite von L gehen sollte, sonst spannt es. Ich lege das Schnittmuster auf das gemusterte Shirt. Es ist zwar XL, hat aber keine Ärmel. Es ist nicht soooo viel Stoff, wie ich dachte. Passt nicht. Ich weiß nicht, wie ich das mit den Ärmeln machen soll. Lasse es also erstmal bleiben.
Es vergehen mehrere Tage.
Tag 6: Planänderung
Irgendwie kommt mir die Idee, dass ich das Shirt auch umdrehen könnte. Ich lege das Schnittmuster auf und freue mich, dass es größtenteils passt. Halte mich für besonders schlau :-P oben blau ist eh schöner. Habe heute aber keine Zeit mehr anzufangen.

Tag 7: Anprobe
Ich schneide die Teile aus. Oben passt alles wunderbar. Aber durch die Armausschnitte des vorherigen Tops, die jetzt unten sind, fällt doch mehr weg, als ich zuerst dachte. Ich nähe die zwei Teile zusammen und probiere es an. An den Seiten fehlen jetzt jeweils Dreiecke. Sieht ein bisschen komisch aus. Es gibt ja diese Schnitte, bei denen der Saum unten eher rund ist bzw. wo die Seiten etwas hochgezogen sind. Aber entweder das steht mir nicht oder der Winkel ist zu groß.
Tag 8: Fehlversuch
Ich nähe kleine Dreiecke von dem Reststoff in die Seiten ein und baue außerdem noch einen Steg dazu. Denke, das sieht vielleicht pfiffig aus. Dann säume ich das Ganze. Die Aktion dauert einen ganzen Abend. Das Ergebnis sieht schrottig aus. Wie gewollt und nicht gekonnt und außerdem etwas zu eng um die Hüfte. Ich ärgere mich und mache vom Zwischenstand nicht einmal ein Foto.
Fehler gehören beim Upcycling, so wie bei jedem Hobby, dazu. Die Kunst besteht darin, daraus trotzdem noch das Beste zu machen. In diesen Beiträgen findet ihr noch mehr Beispiele, wie ich aus der Not eine Tugend gemacht habe:
Tag 9: Dilemma
Ich überlege, dass ich wohl einen zweiten Stoff dazu nehmen sollte, um die Dreiecke zu füllen. Weiß aber nicht, welchen.
Tag 10: Ideenfindung
Ich habe ein weißes Spitzenkleid im Repertoire. Das könnte gehen. Ich muss erstmal den misslungenen Saum abschneiden. Ich schneide die neuen Dreiecke aus und achte darauf, dass sie breit genug für meine Hüfte sind. Mehr Zeit habe ich heute nicht. Fädele aber wenigstens noch weißes Overlock-Garn ein. Kann nicht mal einer Chamäleon-Garn erfinden? Das sich einfach immer an den Stoff anpasst? Marktlücke.

Tag 11: Fertigstellung
Showdown. Ich nähe die Dreiecke an und die Seiten wieder zusammen. Da durch die Abschneideaktion etwas Stoff verloren gegangen ist, nähe ich einen Saum an, statt den vorhandenen Stoff umzuschlagen. Das gefällt mir gut und ich entscheide, das gleich an den Ärmeln auch so zu machen. Fehlt noch der Halsausschnitt. Ich nähe ein Schrägband aus dem Spitzenstoff und nähe es von innen fest. Sehr professionell!

Tag 12: Vertuschen
Es gibt da noch ein kleines Problemchen, das ich bisher unbeachtet gelassen habe. Das Shirt hatte ein paar kleine Flecken. Die liegen relativ weit an der Seite unter dem Arm, aber man kann sie schon sehen. Ich nehme Stoffstifte und übermale sie mit blau. Damit sind sie zwar nicht unsichtbar, fallen aber weniger auf.

Tag 13: Anprobe und letzte Anpassung
Ich trage das neue Kimono Tee und finde es voll schick!! Lediglich der Saum muss nochmal abgesteppt werden, damit er in der richtigen Richtung bleibt. Das mache ich spät abends nach der Feier noch. Jetzt aber!
Es vergehen mehrere Tage.
Tag 14: Publishing
Ich muss noch Nachher-Fotos machen ;-) Und die Bilder bearbeiten. Und einen Blogbeitrag schreiben. Und es auf Instagram posten. Manchmal brauche ich dafür auch nochmal mehrere Tage. Aber das konnte ich mir bei dieser Story nun wirklich nicht leisten! :-D
Ich nähe gar nicht so oft für mich selbst. Mein Kleiderschrank gibt genug her und die Kinder brauchen viel öfter etwas Neues. Aber wenn ich es doch mal schaffe, freue ich mich sehr. Hier könnt ihr sehen, was ich schon für mich genäht habe: